RPG2 im Parlament: Interview mit Elena Strozzi

27.11.19

Elena Strozzi, Verantwortliche für das Dossier Raumplanung bei Pro Natura

Am 3. Dezember beginnt im Nationalrat die Debatte über die zweite Revisionsetappe des Raumplanungsgesetzes (RPG2). Warum braucht es diese Revision?

Elena Strozzi: Im Raumplanungsgesetz heisst es in Artikel 1: «Bund, Kantone und Gemeinden sorgen dafür, dass der Boden haushälterisch genutzt und das Baugebiet vom Nichtbaugebiet getrennt wird.» Weil dies keineswegs gelungen ist, wird das Raumplanungsgesetz (RPG) in zwei Etappen revidiert. Die erste Revisionsetappe war 2014 in einer Volksabstimmung gutgeheissen worden; sie bezweckte die Eingrenzung überdimensionierter Bauzonen und die Verdichtung im Siedlungsgebiet. Sie trägt inzwischen erste Früchte, die Kantone haben mehrheitlich gute Arbeit geleistet. Bei der zweiten Revisionsetappe, die ebenfalls längst geplant war und nun endlich im Parlament angelangt ist, geht es hingegen um das Bauen ausserhalb der Bauzonen. Hier haben wir ein grosses Problem: Aufgrund zahlreicher Ausnahmen, welche im Lauf der Jahre ins Gesetz Eingang fanden, nimmt die Zahl der Bauten im Nichtbaugebiet und die Fläche, die sie beanspruchen, immer mehr zu. Tag für Tag verschwinden wertvolle Naturflächen und fruchtbare Böden. So verliert zum Beispiel die Landwirtschaft jede Sekunde 1m2 Land. Das aktuell gültige Raumplanungsgesetz vermag diese Entwicklung nicht zu stoppen. Eine Revision ist darum zwingend, und sie muss klare und strikte Antworten auf die Problematik bereithalten.

Wer ist schuld an dieser Fehlentwicklung?

ES: Ausserhalb der Bauzonen haben wir namentlich das Problem der nicht mehr benötigten landwirtschaftlichen Gebäude, welche in den Augen von Investoren attraktiv erscheinen für touristische Nutzungen oder zum Wohnen. Beides zieht immer auch weitere Bauten nach sich, etwa Zufahrtsstrassen oder Infrastrukturen. Ein grösserer Teil der neu erstellten Gebäude in der Landwirtschaftszone haben zudem nichts mehr mit der produzierenden Landwirtschaft zu tun, vielmehr dienen sie etwa der Freizeit-Tierhaltung oder der Verarbeitung und Verpackung von Lebensmitteln. Gute Böden werden also für industrielle Zwecke gebraucht. Ein Blick in die Statistik zeigt: Im Flachland und in den Hügellandschaften stehen ausserhalb der Bauzonen vor allem landwirtschaftliche Gebäude sowie Golfplätze; in den Bergen nehmen alpine Sportinfrastrukturen am meisten Land in Anspruch[1]. Die Landwirtschaft ist also einerseits Opfer, aber mindestens zu einem Teil auch Verursacherin des Problems: In den letzten 35 Jahren hat die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um fast die Hälfte abgenommen (-46%), während die von landwirtschaftlichen Gebäuden beanspruchte Fläche ausserhalb der Bauzonen um mehr als Viertel zugenommen hat (27%).

Wo liegen demnach die Lösungen?

ES: Das heutige Gesetz hält zu viele Ausnahmen bereit und verpflichtet die Kantone zu wenig zum Schutz ihrer Landschaften (siehe unten). Nachdem ein erstes Revisionsprojekt 2014/15 in der Vernehmlassung durchfiel, schickte der Bundesrat 2017 eine neue, abgespeckte Version in die Vernehmlassung. Danach kam dann die jetzige Vorlage. Sie enthält einige Punkte, die mit Blick auf die Eingrenzung des Baubooms ausserhalb der Bauzonen in die richtige Richtung gehen. Dazu gehört namentlich die Verpflichtung zu zeitlich begrenzten Bewilligungen für neue, zonenkonforme Bauten oder Anlagen; neu müssen diese zurückgebaut werden, wenn ihre ursprüngliche Zweckbestimmung dahinfällt. Gut sind auch die Regelungen zu den Speziallandwirtschaftszonen, welche mit den Siedlungsgebieten koordiniert werden müssen. Eine zentrale Neuerung in der Vorlage ist aber die grössere Handlungsfreiheit, die den Kantonen gewährt wird. Wenn wir n Zukunft weniger Ausnahmen haben wollen, scheint uns das ein gefährlicher Weg.

Warum denn? Die Schweiz ist ein vielfältiges Land, jeder Kanton hat seine spezifischen Probleme, für die er auch spezifische Lösungen suchen muss…

ES: Der Bundesrat schlägt die Einführung eines „Planungs- und Kompensationsansatzes“ vor, welcher den Kantonen erlauben würde, unter bestimmten Voraussetzungen über die heute geltenden Bestimmungen hinauszugehen. Diese neue Methode kommt zu den bisher geltenden Ausnahmen noch dazu. In der Folge könnte noch mehr gebaut werden. Zudem will der Bundesrat es den Kantonen überlassen, welche Art von Ausnahmen sie zulassen möchten, wie umfangreich diese sein können und auf welchem Teil ihres Kantonsgebiets sie gewährt würden. Wir sind überzeugt, dass wir mit dieser Methode die Probleme nicht lösen. Die Umweltorganisationen unterstützen darum die mit dieser Revision angestrebten Ziele, aber nicht die vorgeschlagenen Instrumente.

Was schlagen denn die Umweltorganisationen konkret vor?

ES: Unsere Landschaftsinitiative zeigt die Richtung auf, in die es gehen soll: Wir wollen das Prinzip der Trennung von Baugebiet und Nichtbaugebiet nachhaltig stärken, indem wir es in der Verfassung verankern. Wir möchten schwarz auf weiss festhalten, dass die Zahl der Gebäude ausserhalb der Bauzonen und die Fläche, die sie beanspruchen, nicht mehr zunehmen darf. Sie soll im Gegenteil abnehmen. Die Kantone sollen die Verantwortung dafür tragen, dass dieses Ziel erreicht wird. Statt den Kantonen einen Freipass zu geben, müssen sie klare Vorgaben erhalten, wie das Bundesgesetz umzusetzen ist. Der Trennungsgrundsatz und der Grundsatz der Verdichtung müssen ihren Sinn behalten. Unsere Initiative ist somit nicht radikal, sondern konsequent.

Warum akzeptiert die nationalrätliche Umweltkommission den Entwurf des Bundesrates nicht?

ES: Die Kommission hat mit 16 gegen 7 Stimmen und einer Enthaltung Nichteintreten beschlossen mit dem Hinweis, die vorgeschlagenen Lösungen seien in der Praxis nicht umsetzbar. Besonders hart kritisiert sie den Planungs- und Kompensationsansatz, die Speziallandwirtschaftszonen und die Rückbaupflicht. Was den Planungs- und Kompensationsansatz angeht, gehen wir mit der Kritik einig: Die praktische Umsetzung wirft noch viele Fragen auf. Warum nicht Pilotprojekte lancieren, bevor die Regel ins Gesetz geschrieben wird? Das fänden wir eine gute Idee. Was die Intensivlandwirtschaftszonen angeht, stehen wir hingegen auf der Seite des Bundesrates. Wir würden sogar noch weiter gehen und würden sie als «Industriezonen» definieren, was sie ja tatsächlich sind. Bleibt noch die Rückbaupflicht: Hier sehen wir die Dinge wiederum anders als der Bundesrat, der vorschlägt, die Kosten des Rückbaus den Besitzern zu anzulasten. Wir schlagen eher die Erhebung einer Mehrwertabgabe auf ausserordentlichen Bewilligungen vor.

Was empfehlen Sie jetzt den Mitgliedern des Nationalrats für die Eintretensdebatte?

ES: Der aktuelle Revisionsentwurf muss grundlegend überarbeitet und verbessert werden. Ziel muss ein Gesetz sein, welches das Grundproblem löst, also auf effiziente Weise die Zahl der Bauten und die von ihnen beanspruchte Fläche begrenzt, damit die Natur und die Landwirtschaft mehr Raum haben und unsere Landschaften besser geschützt sind. Die Umweltorganisationen zweifeln, ob diese Überarbeitung auf Ebene des Parlaments möglich ist. Andererseits würde ein völlig neuer Entwurf, der von der Verwaltung erarbeitet und vom Bundesrat verabschiedet werden müsste, die Zeit bis zur Verabschiedung einer Revision erheblich verlängern. Im Interesse der Biodiversität und der Landschaft ist die Revision aber dringend.

Was erhoffen Sie sich vom neuen Parlament?

ES: Dass es sich möglichst rasch auf ein klares und effizientes Gesetz einigen kann, das die Problematik des Bauens ausserhalb der Bauzonen wirklich löst, der Natur und dem fruchtbaren Kulturland mehr Platz lässt und die Landschaft wirkungsvoll schützt. Unsere Landschaftsinitiative gibt die Richtung vor.

Aktuelle Rechtslage (Quelle: ARE[2]): Was darf ausserhalb der Bauzonen gebaut werden?

„Ausserhalb der Bauzonen dürfen nur die nötigsten Bauten und Anlagen erstellt werden. Das Raumplanungsgesetz enthält dazu Bestimmungen über

  • zonenkonforme,
  • standortgebundene
  • und nicht zonenkonforme Vorhaben.

Zonenkonform sind die für die Landwirtschaft benötigten Bauten und Anlagen. Standortgebunden sind Vorhaben wie Kiesgruben, Wasserreservoirs, Wanderwege oder Skilifte. Für nicht zonenkonforme Vorhaben, wie etwa Umbauten nichtlandwirtschaftlicher Wohnbauten oder Umnutzungen nicht mehr benötigter Ställe für Lagerzwecke oder für die hobbymässige Tierhaltung können Ausnahmen bewilligt werden.“

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