Die Bundesbehörden vernachlässigen den Landschaftsschutz

21.10.22

Wir haben mit Heribert Rausch gesprochen, emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich und Mitglied des Initiativkomitees. Er erklärt uns, weshalb es eine Volksinitiative braucht, um die Landschaft zu schützen.

Foto Heribert Rausch

Heribert Rausch, emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Universität Zürich und Mitglied des Initiativkomitees

Herr Rausch, welche Landschaften schätzen Sie persönlich besonders?

Meine Liebe gilt den naturnahen Berglandschaften, namentlich den Seitentälern des Engadins. Und in meiner näheren Umgebung in einer Zürichsee-Gemeinde zieht es mich in den Wald.

 

Sie waren Professor für Öffentliches Recht und haben als Spezialist für Umweltrecht zahlreiche Initiativtexte begutachtet. Warum braucht es eine Volksinitiative, um die Landschaft zu schützen?

Weil die Bundesbehörden das Anliegen vernachlässigen. Sie befürworten zwar den Natur- und Landschaftsschutz dem Prinzip nach, stellen ihn jedoch regelmässig den gegenläufigen Interessen hintan. Derzeit erleben wir das gerade auf krasse Weise in der Energiepolitik.

Immer wieder kommt der Vorwurf, unsere Verfassung enthalte zu viele Details. Wie beurteilen Sie es, dass die Landschaftsinitiative zum Beispiel konkret regeln will, wie Umnutzungen oder Zweckänderungen von Bauten ausserhalb der Bauzone zu behandeln sind?

Positiv. Denn ohne ganz präzise Vorgaben kommen wir von der bisherigen Fehlentwicklung nicht los. An sich will ja das Raumplanungsgesetz die nicht zum Baugebiet gehörenden Flächen vor Zersiedelung bewahren. Das gelingt aber immer weniger, weil in den letzten gut 20 Jahren mit zahlreichen Teilrevisionen des Raumplanungsgesetzes immer mehr Möglichkeiten für das Bauen ausserhalb der Bauzonen eröffnet worden sind.

Die Vorgaben im zweiten und dritten Absatz unserer Initiative sind so präzis, dass sie gute Chancen haben, in der Rechtsprechung als direkt anwendbar qualifiziert zu werden – analog einem Bundesgerichtsurteil von 2013 betreffend die Zweitwohnungsinitiative. Damit ist auch gesagt: Unsere Initiative greift eher schneller als die hängige Gesetzesrevision, die der Bundesrat erst zusammen mit Änderungen des Verordnungsrechts in Kraft setzen wird, und diese Änderungen erfolgen erst nach einem aufwendigen Vernehmlassungsverfahren.

 

Die Landschaftsinitiative steht quer zur derzeitigen Revision des Raumplanungsgesetzes. Ist es sinnvoll, mit einer Volksinitiative auf die laufende Arbeit des Parlaments einzuwirken?

Ja, selbstverständlich! In einer Broschüre der Bundeskanzlei von 1991 mit dem Titel “100 Jahre Eidgenössische Volksinitiative” steht zu deren Funktion schlicht und richtig: “Unzufriedene Stimmberechtigte können dem Staat Beine machen.” Wenn wir das nicht tun, geht es weiter wie bisher; effektiv ist der Gesetzgeber gerade im Begriff, das Bauen im bisherigen Nichtbaugebiet in noch viel grösserem Ausmass zuzulassen.

 

In der Gesetzesrevision sieht der Ständerat nun ein Stabilisierungsziel ausserhalb der Bauzonen vor Genügt das nicht? Wie müsste der Nationalrat allenfalls nachbessern?

Die Fassung des Ständerates benennt die Stabilisierung als ein neues Teilziel des Gesetzes. Für sich allein brächte eine solche Bestimmung nichts, wäre sie geradezu ein Schwindel. Es braucht auch operative Bestimmungen. Diesbezüglich ist der Revisionsentwurf schwach. Er verlangt, neue bauliche Nutzungen ausserhalb der Bauzonen durch Abbruch bestehender Bauten (gegen Entschädigung) zu “kompensieren”, doch wird sich das in denjenigen Kantonen, in denen die Behörden das Bundesrecht traditionellerweise nach Massgabe der Bedürfnisse der Bauwilligen und der Bauwirtschaft interpretieren, als illusorisch erweisen. Das mit der Landschaftsinitiative angegangene Zersiedelungsproblem lässt sich nicht dadurch lösen, dass dereinst, nämlich nach Ablauf von fünf Jahren seit der Gesetzesrevision, “jedes weitere neue Gebäude ausserhalb der Bauzone” in Ermangelung einer bundesrätlichen Genehmigung einer entsprechenden kantonalen Richtplanänderung “kompensationspflichtig” würde.

Der Nationalrat müsste also den Revisionsentwurf so verbessern, dass für Vorhaben, die aller Voraussicht nach das Stabilisierungsziel unterlaufen werden, von vornherein keine Bewilligung erhältlich ist. Bringt er die Kraft dazu auf, sind wir Initianten positiv überrascht.

Ich möchte auch noch erwähnen, dass die gegenwärtige Revisionsvorlage sehr schlecht redigiert ist. Mit wirren Gesetzesbestimmungen ist kein Staat zu machen. Sie führen unweigerlich zu vielen Rechtsstreitigkeiten.

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