Interview mit einem der führenden Köpfe der Schweizer Raumplanung

18.01.23

Dr. Rudolf Muggli ist bekannt als auf Raumplanung spezialisierter Jurist, ehemaliger Direktor der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung (heute: EspaceSuisse). Für sein Engagement bei der Ausgestaltung der schweizerischen Raumplanung hat ihm die Universität Freiburg den Ehrendoktortitel verliehen.

Foto Adrian Schmid

Dr. h.c. Rudolf Muggli, beratender Anwalt der Landschaftsinitiative 

Sie wirken als beratender Anwalt der Landschaftsinitiative. Weshalb ist Ihnen als Jurist der Landschaftsschutz ein besonderes Anliegen? 

Mir geht es weniger um den Begriff Landschaft als umfassender um die Raumplanung, mit der ich mein gesamtes Berufsleben verbracht habe. Deren Kernpunkt ist der Trennungsgrundsatz zwischen Bau- und Nichtbaugebiet, dass man also nicht mehr wie früher überall baut, sondern nur noch in den Bauzonen. Und genau darum geht es in der Landschaftsinitiative. 

Die dauernde Verwässerung des Trennungsgrundsatzes durch das Bundesparlament ist auch das Hauptproblem, wenn es um Landschaftsschutz geht. Praktisch in jeder Session verlangt ein Ratsmitglied, dass der Trennungsgrundsatz wieder irgendwo durchlöchert werde. 

Die Landschaftsinitiative will Gebäude und Gebäudeflächen ausserhalb der Bauzone plafonieren. Weshalb ist die Umnutzung von Bauten ein Problem – diese Gebäude stehen ja bereits? 

Es geht um landwirtschaftliche Ökonomiebauten, wir sprechen hier nicht von Wohnbauten Bauernhäuser können seit langem umgenutzt werden und das will die Landschaftsinitiative auch nicht ändern. 

Problematisch sind die Ställe und Scheunen, die zu Wohnzwecken umgebaut werden. Ein landwirtschaftlicher Nutzbau braucht nicht unbedingt eine Erschliessung, ein Ferienhaus aber braucht Wasser- und Abwasseranschluss, eine Strasse, einen Parkplatz und dazu den Sitzplatz mit Fahnenstange – also eine Infrastruktur wie ein Neubau. Dadurch wird die Landwirtschaftszone schleichend zur Ferienhauszone, aber nicht mit gruppierten, sondern verstreuten Gebäuden, also eine durchgehende Streusiedlung. 

Das Plafonierungsziel der Initiative will in der Summe nicht mehr Gebäude. Weil aber neue Gebäude für den Bedarf der Landwirtschaft nötig sind, sollten wenigstens die vielen nicht mehr benötigten Scheune und Ställe abgebrochen werden.  

Die Plafonierung erhöht den Druck, dass solche alten Ställe und Scheunen abgebrochen statt umgenutzt werden. 

Diese Gebäude stehen ausserhalb der Bauzonen, vor allem in der Landwirtschaftszone. Was dürfen eigentlich Bauernfamilien mit ihren Wohnhäusern nach heutigem Gesetz machen, und was würde die Initiative daran ändern?  

Für die Bauernfamilien ändert die Initiative nichts: Sie dürfen alles bauen, was sie für die landwirtschaftliche Nutzung benötigen, das ist immer zonenkonform. Auch für die abtretende Generation gilt der Bau eines Wohnhauses noch als Landwirtschaft, das «Stöckli» ist zonenkonform. 

Ein Problem entsteht, wenn die landwirtschaftliche Nutzung nicht mehr gegeben ist, etwa weil der Betrieb aufgegeben wird.  

Dürften auch Ställe und Scheunen umgenutzt oder umgebaut werden, und zu welchen Zwecken? 

Der Bauer darf seine Gebäude grundsätzlich nicht für landwirtschaftsfremde Zwecke nutzen. Also keine Autogarage betreiben, weil man ja nicht will, dass die Werkstatt des Garagisten in der Gewerbezone durch einen Betrieb in der Landwirtschaftszone mit ihren viel günstigeren Bodenpreisen konkurrenziert wird. Das Gleiche gilt etwa für einen grossen Restaurationssaal in der alten Scheune oder eine eigentliche Pension auf dem Bauernhof. Das Gewerbe ist mit Recht verärgert über die unfaire Konkurrenz aus der Landwirtschaftszone. 

Aber bereits 1998 verlangten und erhielten die Bauern eine wichtige Ausnahme: Sogenannte nicht-landwirtschaftlichen Nebenbetriebe dürfen Bauten in der Landwirtschaftszone zu Gewerbezwecken nutzen. Der Nebenerwerb der Bauernfamilie muss aber dem Landwirtschaftsbetrieb untergeordnet sein – erlaubt ist vor allem der Agrotourismus mit «Ferien auf dem Bauernhof», einem Gästezimmer, einem erweiterten Hofladen.  Eine Bedingung ist, dass es der Nebenwerb der Bauernfamilie ist und nicht von Angestellten betrieben wird.   

Vor allem in den Bergkantonen ist es beliebt, alte Nutzbauten wir Rustici oder Spycher umzunutzen oder alte Hotels umzubauen und zu erweitern. Warum sieht die Initiative das als Problem, und was würde sie daran ändern? 

Die Initiative ändert nichts daran, sondern baut auf dem Bestehenden auf. Sie will bloss zusätzliche Ausnahmen verhindern. Die vielen alten Hotels, die unter Denkmalschutz stehen – man denke ans Hotel Giessbach bei Brienz, das Hotel Weisshorn bei St. Luc im Wallis und viele mehr – darf man umbauen und auch erweitern, wenn das mit dem Denkmalschutz vereinbar ist.  

Die Initiative will vor allem verhindern, dass man überall nicht mehr gebrauchte Ställe und Scheunen in Ferienhäuser umbaut. Das wäre schlimm für unsere schönen Landschaften. 

Dürften nur noch Bauern alte landwirtschaftliche Ökonomiegebäude im Nichtbaugebiet umnutzen, oder sieht die Initiative da andere Möglichkeiten vor?  

Man muss klar sein: Bauern im Sinne des Bundesrechts sind nur jene, die ihr Land landwirtschaftlich nutzen – nicht jene ehemaligen Bauern, die noch landwirtschaftliche Liegenschaften besitzen und sie für andere Zwecke nutzen oder verkaufen wollen.  Es geht also um den Zweck der Baute. Ist der Zweck wirklich ein landwirtschaftlicher, dann kann man bauen, umbauen usw., eben soweit es für die Landwirtschaft nötig ist. Aber nicht für andere Zwecke, die im Grunde in die Bauzone gehören. 

Das heutige Recht sieht schon lange vor, dass Bauten, die im denkmalpflegerischen Sinne wertvoll sind, zwecks Erhaltung umgenutzt werden dürfen – das sind aber die meisten einfachen Ställe und Scheunen nicht. Eine Anwendung dieser Regel sind die sogenannten landschaftstypischen Bauten:  Das ist die Tessiner «Rustici-Regelung», die das Wallis und Graubünden erstaunlicherweise nicht anwenden. Hier wird eine bestimmte Kulturlandschaft unter Schutz gestellt, und die dort stehenden landschaftstypischen Ställe und Scheunen dürfen dann ihm Rahmen dieses Schutzzwecks als Bestandteil der Kulturlandschaft umgenutzt werden.  An all dem ändert die Landschaftsinitiative nichts. 

Die Unterschutzstellung macht klar, dass explizit nur das einfache Rustico geschützt ist und umgenutzt werden kann. Ein Ausbau in ein grosses Ferienhaus ist nicht möglich. Ausserdem ist dazugehörige Kulturlandschaft zu erhalten und zu pflegen, mit der Freihaltung der Geländekammern, der Verhinderung der Verbuschung und anderen Arbeiten: Das ist weit aufwendiger, als es zunächst tönt. Aber das ist eben nötig, wenn man die Landschaft erhalten will. Das Tessin hat nicht umsonst sehr lange mit dem Bund diskutiert, wie das genau zu regeln ist.  

Mit der Zusammenlegung von Landwirtschaftsbetrieben und dem Bau neuer, grösserer Ställe und Masthallen stehen immer mehr alte Nutzbauten leer und dürften im Sinne der Initiative auch nicht mehr umgenutzt werden. Was soll damit geschehen? 

Man muss sie abbrechen – soweit sie nicht allein oder mit der Landschaft zusammen geschützt sind. Sonst füllt sich das «Nichtbaugebiet» mit immer mehr Bauten. Das wäre dann totale Zersiedelung. Der Kanton muss dafür sorgen, er könnte dies also auch an die Gemeinden delegieren. Konkret: Wenn Bauern einen neuen Stall bauen, müssten sie den alten abbrechen. Das gewährleisten heute viele Kantone nicht. Dann steht der Stall leer und die Leute wollen ein Ferienhaus daraus machen. Es gibt insgesamt über 400’000 landwirtschaftliche Nutzbauten, und nur wenige sind schutzwürdig, am ehesten noch als schutzwürdige Ensembles, als Gebäudegruppen. 

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